Was ist eigentlich Altbausanierung - und warum ist sie so wichtig?
Altbausanierung bedeutet nicht einfach, alte Häuser zu flicken. Es geht darum, Gebäude, die vor 1979 gebaut wurden, so zu modernisieren, dass sie heute noch sicher, warm und lebenswert sind - ohne ihre Seele zu verlieren. Diese Gebäude, oft aus Ziegel, Holz und schweren Mauern, sind nicht nur Wohnraum, sondern Teil der deutschen Baukultur. Sie tragen die Spuren von Generationen, von Krieg und Wiederaufbau, von Armut und Wohlstand. Heute machen sie mehr als die Hälfte aller gebauten Wohnungen in Deutschland aus. Und doch waren sie lange Zeit das Ziel von Abrissbirnen und Betonplatten.
Die Nachkriegszeit: Wiederaufbau oder Wegwerfen?
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Deutschland vor einer ungeheuren Aufgabe: Millionen Wohnungen waren zerstört, 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene brauchten Unterkunft. Die Lösung? Schnell bauen. Und zwar mit neuen Methoden. Holzbalkendecken verschwanden, ersetzt durch leichte, filigrane Decken aus Beton. Der schwimmende Estrich, eine deutsche Erfindung, wurde Standard. Doch das war nur die eine Seite. Während man neue Großsiedlungen am Stadtrand errichtete, wurden in den Innenstädten alte Viertel als veraltet, unhygienisch und überfüllt abgestempelt. Die Politik und die Bauindustrie setzten auf Flächensanierung - ein Wort, das heute fast wie ein Schimpfwort klingt. Es bedeutete: Abriss, Neubau, alles neu. Alte Fassaden, historische Treppenhäuser, Fenster mit Holzläden - alles weg. Man nannte das „Kahlschlag“. Und es geschah flächendeckend, besonders in den 1960er Jahren.
Der Wendepunkt: Wer sagt, dass alte Häuser nicht wertvoll sind?
Es dauerte bis Anfang der 1980er Jahre, bis sich Widerstand formierte. In Berlin-Kreuzberg besetzten Menschen leerstehende Häuser, weil sie wussten: Diese Gebäude sind nicht wertlos - sie sind lebenswert. Sie wollten nicht in Neubauten mit Betonbalkonen ziehen, sondern in Wohnungen mit hohen Decken, originalen Türen und Fenstern, die nach Sonne und Regen rochen. Diese Bewegung war nicht nur sozial, sie war auch kulturell. Sie fragte: Warum müssen wir alles neu machen, wenn wir das Alte retten können? Hardt-Waltherr Hämer, der Planungsdirektor der Internationalen Bauausstellung IBA Berlin, formulierte 1981 die „Zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung“. Sie waren revolutionär: Erhalte die Struktur, baue nicht ab, fördere die Bewohner, nutze alte Materialien, baue sanft nach. Diese Prinzipien wurden 1983 offiziell anerkannt - und veränderten die deutsche Stadtplanung für immer.
Die Mauer fiel - und mit ihr die Chance, Ost-Berlin zu retten
Die Wiedervereinigung 1990 brachte eine neue Welle der Altbausanierung mit sich. In Ost-Berlin, Leipzig, Dresden und vielen anderen Städten der DDR standen Hunderttausende Wohnungen leer oder verfielen. Die Bauweise war oft schlecht, die Heizungen alt, die Fassaden bröckelten. Doch die Gebäude selbst? Sie waren massiv, stabil, mit dicken Mauern und großen Räumen - genau das, was man heute braucht. Die IBA 1984/87, die unter Hämers Leitung stand, wurde zum Vorbild. In Dresden, in der Äußeren Neustadt, gründeten Bürger 1989 eine Initiative, um ihren Stadtteil zu retten. 30 Prozent der Wohnungen waren leer, die anderen verfielen. Die Stadtverordnetenversammlung erklärte 1990 den Stadtteil zum Sanierungsgebiet - obwohl das DDR-Baugesetz das gar nicht vorsah. Sie kopierten das Modell aus Westdeutschland: Mieterschutz, Veräußerungssperre, Sozialplan, Fördergelder. Es war der Beginn einer der größten Sanierungsaktionen Europas.
Energie sparen - aber nicht auf Kosten der Substanz
1979 kam die erste Wärmeschutzverordnung. Sie verlangte, dass neue Gebäude besser gedämmt werden. Doch was war mit den alten? Die Antwort: lange Zeit nichts. Bis heute sind etwa 75 Prozent der deutschen Wohnungen vor 1979 gebaut worden - und die meisten wurden nie energetisch saniert. Das bedeutet: Heizungswärme entweicht durch undichte Fenster, durch alte Dächer, durch Wände, die keine Dämmung haben. Der Gebäudebereich verbraucht 40 Prozent der gesamten Energie in Deutschland - und erzeugt ein Drittel der Treibhausgase. Die Lösung? Energetische Sanierung. Dämmung der Außenwände, Austausch der Fenster, neue Heizungen. Aber hier liegt die große Herausforderung: Wie dämmt man ein historisches Gebäude, ohne seine Fassade zu verändern? Wie ersetzt man alte Holzfenster, wenn sie Teil des Denkmalschutzes sind? Die Antwort: mit cleveren Lösungen. Innendämmung mit Holzfaserplatten, doppelte Verglasung hinter originalen Fenstern, moderne Heizkörper, die so klein sind, dass sie kaum auffallen. Die Technik hat sich weiterentwickelt - aber der Respekt vor dem Alten bleibt.
Die Zukunft der Altbausanierung: Nachwachsende Rohstoffe und Bürgerbeteiligung
Heute ist Altbausanierung kein Nischenprojekt mehr. Sie ist die Norm. Mehr als die Hälfte aller Bauvorhaben in Deutschland betreffen Bestandsgebäude. Und sie wird immer komplexer. Denn es geht nicht mehr nur um Wärme, sondern um Ressourcen. In Deutschland wird mehr als die Hälfte der benötigten Baustoffe recycelt - und das liegt vor allem an der Sanierung alter Häuser. Holz, Lehm, Kalk, Hanf - nachwachsende Rohstoffe werden wieder populär. Sie sind nicht nur klimafreundlich, sondern auch gesund für die Luft in den Wohnungen. In Hannover-Linden-Nord, in Hameln oder Freiburg-Im-Grün werden heute Sanierungen durchgeführt, die als Vorbild dienen: Mit Bürgerbeteiligung, mit kreativen Lösungen, mit Respekt für Geschichte und Zukunft. In Dresden entstand 1990 die Sanierungskommission - ein Gremium, in dem Bewohner, Architekten, Politiker und Handwerker regelmäßig zusammenkamen. In der „Bunten Republik Neustadt“ in Berlin wurde sogar eine Mikronation proklamiert - als Zeichen für kreativen Widerstand und lebendige Stadtentwicklung. Diese Projekte zeigen: Sanierung ist kein technischer Prozess. Sie ist ein gesellschaftlicher Akt.
Warum lohnt sich Altbausanierung heute mehr denn je?
Ein altes Haus zu sanieren, ist kein Luxus - es ist eine Notwendigkeit. Es rettet Ressourcen, reduziert CO₂, erhält kulturelles Erbe und schafft bezahlbaren Wohnraum. Wer heute ein Haus aus den 1950ern kauft, investiert nicht nur in vier Wände - er investiert in eine Geschichte. Und er kann sie weitertragen. Die Technik hilft: moderne Dämmstoffe, intelligente Heizungssteuerung, solarthermische Anlagen. Aber der wichtigste Baustein bleibt der Mensch: der Bewohner, der sich einbringt, der Handwerker, der mit Respekt arbeitet, der Architekt, der nicht alles neu macht, sondern das Beste aus dem Alten herausholt. Altbausanierung ist nicht das Gegenteil von Modernisierung - sie ist ihre tiefste Form.
Was ist der Unterschied zwischen Flächensanierung und behutsamer Stadterneuerung?
Flächensanierung bedeutete in den 1960er und 70er Jahren: ganze Viertel abreißen, neu bauen, alte Strukturen ignorieren. Es war ein Kahlschlag. Behutsame Stadterneuerung hingegen will das Bestehende erhalten: Fassaden, Grundrisse, Straßenverlauf, soziale Netzwerke. Sie sanieren nicht nur Gebäude, sie sanieren Gemeinschaften. Der Schlüssel ist: nicht abreißen, sondern nachbauen - mit Respekt für Geschichte und Menschen.
Warum sind Gebäude vor 1979 so energieintensiv?
Vor 1979 gab es keine gesetzlichen Vorgaben für Wärmedämmung. Wände waren oft nur 30 bis 40 Zentimeter dick, ohne Dämmung. Fenster hatten meist einfache Verglasung - Einzelläden, keine Isolierverglasung. Dächer waren ungedämmt, Kellerdecken nicht isoliert. Die Heizungen waren alt, ineffizient und oft auf Öl oder Kohle angewiesen. Dadurch verlieren diese Häuser bis zu 70 Prozent mehr Wärme als moderne Neubauten. Das macht sie teuer im Betrieb und klimaschädlich.
Kann man alte Holzfenster wirklich modernisieren, ohne sie zu ersetzen?
Ja, das ist möglich - und oft sogar vorgeschrieben, wenn das Haus unter Denkmalschutz steht. Man kann alte Holzfenster sanieren: Dichtungen erneuern, die Verglasung durch doppelte Isolierverglasung ersetzen, die Flügel ausbalancieren und die Beschläge modernisieren. Die äußere Form bleibt erhalten, die Energieeffizienz steigt um bis zu 60 Prozent. Viele Handwerker bieten heute spezielle Sanierungsservices für historische Fenster an - oft günstiger als ein kompletter Austausch.
Welche Fördermittel gibt es heute für Altbausanierungen?
In Deutschland gibt es mehrere Förderprogramme: Die KfW-Bank bietet Zuschüsse und günstige Kredite für energetische Sanierungen - etwa für Wärmedämmung, Fenster oder Heizungsaustausch. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) fördert den Austausch von Heizungen auf Wärmepumpen oder Holzpellets. Kommunen und Länder haben oft zusätzliche Programme. Wichtig: Die Förderung richtet sich nach dem energetischen Ergebnis - je besser die Sanierung, desto höher die Unterstützung. Voraussetzung ist immer ein individueller Sanierungsfahrplan.
Warum ist Bürgerbeteiligung bei Altbausanierungen so wichtig?
Weil Sanierung nicht nur Beton und Dämmstoffe betrifft, sondern Menschen. Wer in einem Haus lebt, weiß, wo es kalt ist, wo die Fenster quietschen, wo die Heizung nicht anspringt. Wenn Bewohner bei der Planung mitreden, entstehen Lösungen, die tatsächlich funktionieren. In Dresden, Berlin oder Leipzig haben Bürgerkommissionen dafür gesorgt, dass Sanierungen nicht von oben verordnet wurden, sondern gemeinsam entwickelt. Das reduziert Konflikte, erhöht die Akzeptanz und sorgt dafür, dass die Sanierung langfristig hält - nicht nur baulich, sondern sozial.