Stellen Sie sich vor, Sie oder ein Familienmitglied braucht bald einen Rollstuhl. Oder Sie merken, dass die Treppe zur Wohnung immer schwerer wird. Dann wird es Zeit, über Barrierereduzierung nachzudenken. Nicht nur für Menschen mit Behinderung - auch für Senioren, Eltern mit Kinderwagen oder einfach für einen langfristig wohnlichen Alltag. Doch was genau muss geändert werden? Und wie viel kostet es wirklich? Die Antwort liegt in drei entscheidenden Punkten: Türbreiten, Schwellen und Aufzüge.
Türbreiten: Die erste Hürde ist die Tür
Die meisten Menschen unterschätzen, wie eng eine Tür sein kann, bis sie selbst mit einem Rollstuhl, einem Gehwagen oder einem Kinderwagen davorstehen. Die DIN 18040-1 schreibt für neue Bauten eine lichte Türbreite von mindestens 90 cm vor. Doch was gilt für Bestandsbauten? Hier kommt die Verwirrung. Die DIN EN 81-70, die für Aufzüge gilt, erlaubt in Bestandsgebäuden sogar 80 cm. Das klingt erstmal praktisch - aber in der Praxis funktioniert es nicht. Moderne Elektrorollstühle sind 75 bis 80 cm breit. Bei 80 cm Türbreite bleibt kaum Platz zum Ein- und Ausfahren. Die Deutsche Gesellschaft für Gerontotechnik (DGGT) hat gemessen: Nur 57 % der Rollstuhlfahrer können mit einer 80-cm-Tür sicher durchkommen. Bei 90 cm sind es 92 %. Das ist kein kleiner Unterschied - das ist der Unterschied zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit.Wenn Sie eine Tür erweitern, müssen Sie oft die Wand aufbrechen. Das kostet. Die KfW-Bank berichtet, dass 63 % der geförderten Projekte zusätzliche 8.200 € für Türerweiterungen ausgeben. Aber es lohnt sich. Denn eine 90-cm-Tür ist nicht nur für Rollstühle geeignet - sie macht auch den Alltag mit Kinderwagen, Möbeln oder Einkaufstaschen einfacher. Und: Sie ist der einzige Standard, der langfristig hält. Denn die neue DIN 18040, die 2025 erscheint, wird diese 90 cm verbindlich machen.
Schwellen: Der unsichtbare Stolperstein
Schwellen sehen harmlos aus. Ein paar Zentimeter Höhenunterschied zwischen Flur und Bad, zwischen Wohnung und Balkon. Aber für jemanden mit eingeschränkter Mobilität sind sie eine echte Gefahr. Die Stadt Hannover hat es klar formuliert: Wege müssen schwellen- und stufenlos sein. Und das gilt auch für Bestandsbauten - wenn Sie sie sanieren.Wenn eine Schwellenlösung nicht baustrukturell möglich ist, müssen Sie eine Rampe oder ein Fördersystem einbauen. Die KfW empfiehlt: Rampen sollten nicht steiler als 6 % ansteigen. Das heißt: Bei 10 cm Höhenunterschied brauchen Sie mindestens 1,67 Meter Länge. Und immer beidseitig Handläufe. Die VV TB NRW (Oktober 2023) sagt auch: Die Fläche vor und nach der Rampe muss groß genug sein, um sich drehen zu können - mindestens 1,50 x 1,50 Meter.
Und die Bodenbeläge? Nicht glatt, nicht rutschig. Ein rutschhemmender Belag ist Pflicht. Wer hier spart, riskiert Stürze. Die Deutsche Rentenversicherung hat ermittelt: 28 % aller Sturzunfälle bei Senioren passieren an Schwellen. Das ist mehr als bei Treppen. Die Lösung? Eine sanfte Rampe aus Holz oder Beton, mit einer farblich abgesetzten Kante, damit sie gut sichtbar ist. Und wenn Sie keine Rampe einbauen können: Ein elektrischer Plattformlift, der die Schwellen überwindet, ist eine Alternative - und wird von der KfW mit bis zu 6.200 € gefördert.
Aufzüge: Nicht jeder Aufzug ist barrierefrei
Ein Aufzug klingt wie die perfekte Lösung - aber nicht jeder Aufzug ist wirklich nutzbar. Die DIN EN 81-70 unterscheidet fünf Aufzugstypen. Typ 1 ist der kleinste: 80 cm Türbreite, Kabinengröße 1,00 x 1,10 m. Das reicht laut Norm nur für Personen, die nicht allein fahren dürfen - und nur, wenn kein Platz ist. In der Realität ist das kein Ausweg.Typ 2 (1,10 x 1,40 m) ist für einen Rollstuhlfahrer mit Begleitperson vorgesehen. Aber hier kommt das Problem: Die DIN 18040 definiert einen Standardrollstuhl mit 1,30 m Länge. In einem Typ-2-Aufzug bleibt also nur 10 cm Platz für eine Begleitperson. Das ist zu wenig. Wer wirklich barrierefrei wohnen will, braucht Typ 3: mindestens 1,10 x 1,60 m Kabinengröße. Und eine Türbreite von 90 cm - nicht 80.
Die Bewegungsfläche vor der Aufzugstür muss 1,50 x 1,50 m betragen. Sonst kann man sich nicht drehen. Und die Türhöhe? Mindestens 200 cm. Für großwüchsige Menschen sogar 220 cm. Das ist kein Luxus - das ist Sicherheit. Und: Die Tür muss sich leicht öffnen lassen. Maximal 25 Newton Kraft - das ist so viel wie ein halber Liter Milch zu heben. Wer hier einen schweren Türantrieb verbaut, macht den Aufzug nutzlos.
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 142.500 Maßnahmen zur Barrierereduzierung gefördert - ein Drittel davon betraf Aufzüge. Die KfW zahlt bis zu 6.200 € pro Wohnung. Aber: 78 % der Anträge scheitern, weil die Normen falsch verstanden wurden. Planen Sie früh. Holen Sie sich einen Experten. Und fragen Sie: Ist der Aufzug wirklich nutzbar - oder nur normgerecht?
Warum die Normen so durcheinander sind
Warum gibt es zwei unterschiedliche Normen - DIN 18040 und DIN EN 81-70 - und warum passen sie nicht zusammen? Die Antwort ist einfach: Historisch gewachsen. Die DIN 18040 ist ein deutscher Standard für barrierefreies Bauen - für Wohnungen, Schulen, Ämter. Die DIN EN 81-70 ist eine europäische Norm für Aufzüge - und wurde ursprünglich für Neubauten entwickelt, nicht für Altbauten.Die Folge: Architekten und Bauherren sind verwirrt. Der Begriff „barrierefrei“ wird unterschiedlich interpretiert. Die bfb-barrierefrei-bauen.de-Website nennt das „babylonische Sprachverwirrung“. Dr. Markus Wiesner vom Land NRW sagt: „Wir haben ein System, das Planer in die Irre führt.“
Und das hat Konsequenzen. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) fordert seit 2022 eine einheitliche Norm. Die KfW hat das Problem erkannt und erhöht seit 2024 die Förderung für Maßnahmen, die über die Mindeststandards hinausgehen. Und die DIN arbeitet an einer Harmonisierung - die neue DIN 18040 für 2025 wird die Kluft schließen.
Was heißt das für Sie? Wenn Sie jetzt sanieren: Gehen Sie nicht den Weg des geringsten Widerstands. Wählen Sie nicht den Aufzug mit 80 cm Türbreite, nur weil er billiger ist. Wählen Sie nicht die 85-cm-Tür, weil sie „fast“ passt. Wählen Sie den Standard, der wirklich funktioniert - die DIN 18040.
Wie Sie starten: Der praktische Plan
Sie wollen jetzt handeln? Dann folgen Sie diesem Schritt-für-Schritt-Plan:- Prüfen Sie Ihren Bestand: Messen Sie Türbreiten, suchen Sie Schwellen, prüfen Sie, ob ein Aufzug vorhanden ist - und ob er nutzbar ist.
- Consultieren Sie einen Experten: Ein Architekt oder ein Barrierefreiheitsberater kann Ihnen sagen, was realistisch ist. Die KfW empfiehlt mindestens 4-6 Wochen Planungszeit.
- Prüfen Sie die Förderung: Die KfW zahlt bis zu 6.200 € pro Wohnung. Für Aufzüge, Türerweiterungen, Rampen - alles ist förderfähig. Die VV TB NRW macht die DIN 18040 verbindlich - das heißt, Sie müssen sie nicht nur wählen, sondern auch einhalten, wenn Sie Fördergelder wollen.
- Planen Sie langfristig: Was ist in 10 Jahren? Werden Sie älter? Kommt ein Kind mit Kinderwagen? Wird ein Pflegebedürftiger einziehen? Bauen Sie nicht nur für heute - bauen Sie für den Alltag.
Die Zahlen sprechen für sich: 55,3 % der über 65-Jährigen in Deutschland leben in Wohnungen ohne barrierefreien Zugang. Bis 2030 wird der Bedarf um 37 % steigen. Die Zeit, zu warten, ist vorbei. Die Barrierereduzierung ist keine Luxusmaßnahme - sie ist eine Notwendigkeit. Und sie ist machbar. Mit den richtigen Maßnahmen wird Ihr Haus nicht nur sicherer - es wird wohnlicher. Für alle.
Was kommt als Nächstes?
Die Zukunft ist klar: Die DIN 18040 wird 2025 aktualisiert. Die Türbreiten bleiben bei 90 cm - aber die Aufzugskabinen werden größer. Die DGGT fordert sogar 95 cm Türbreite für neue Aufzüge, um moderne Elektrorollstühle zu integrieren. Die KfW plant, Förderungen für innovative Lösungen - wie Schiebetüren, automatische Rampen oder intelligente Aufzugssteuerung - zu erhöhen.Wenn Sie jetzt sanieren, können Sie die nächste Norm schon mitdenken. Wählen Sie die größere Tür. Wählen Sie den größeren Aufzug. Wählen Sie die Rampe, die auch in 15 Jahren noch funktioniert. Denn Barrierefreiheit ist kein Endpunkt - sie ist eine Haltung. Und sie beginnt mit einer Tür, die wirklich offen ist.
Wie viel kostet es, eine Tür auf 90 cm zu erweitern?
Die Kosten liegen zwischen 4.000 und 10.000 €, je nach Bauweise. In massiven Altbauten mit Betonwänden kann es bis zu 12.000 € kosten. Die KfW fördert bis zu 6.200 € pro Wohnung - oft genug, um die Mehrkosten zu decken. Wichtig: Die Förderung gilt nur, wenn die neue Tür den Mindeststandards der DIN 18040 entspricht.
Darf ich eine 80-cm-Tür einbauen, wenn ich keine Förderung will?
Technisch ja - aber rechtlich nicht immer. Wenn Sie ein Gebäude sanieren, das öffentlich zugänglich ist (z. B. Mietwohnung mit Treppenhaus), müssen Sie die DIN 18040 einhalten, unabhängig von Fördergeldern. Die VV TB NRW macht sie verbindlich. Auch in privaten Wohnungen gilt: Wer heute eine 80-cm-Tür einbaut, riskiert, dass er sie in 5-10 Jahren wieder austauschen muss - denn die neue DIN 18040 (2025) wird das verbieten.
Ist ein Treppenlift eine gute Alternative zu einem Aufzug?
Ein Treppenlift ist eine gute Lösung, wenn Sie nur eine Person transportieren müssen und der Treppenlauf gerade ist. Aber er ist kein Ersatz für einen Aufzug, wenn Sie einen Rollstuhl transportieren wollen - oder wenn mehrere Personen gleichzeitig die Etage wechseln müssen. Außerdem ist ein Treppenlift für Menschen mit Arm- oder Schulterproblemen oft schwer zu bedienen. Ein Aufzug mit 90-cm-Tür ist die einzige Lösung, die wirklich unabhängig macht.
Wie finde ich einen guten Barrierefreiheitsberater?
Suchen Sie nach zertifizierten Beratern der Deutschen Gesellschaft für Barrierefreies Bauen (DGBB) oder nach Architekten mit dem Zertifikat „Barrierefreies Bauen“ der Architektenkammer. Fragen Sie nach konkreten Projekten - besonders bei Bestandsanpassungen. Ein guter Berater prüft nicht nur die Normen, sondern auch, wie der Alltag wirklich funktioniert. Und er weiß, wo die Fördergelder liegen.
Gibt es Förderung für Mietwohnungen?
Ja. Die KfW fördert Barrierereduzierung auch in Mietwohnungen - aber nur, wenn der Vermieter die Maßnahme durchführt und die Mieter von den Verbesserungen profitieren. Der Vermieter kann bis zu 6.200 € pro Wohnung erhalten. Ein Teil der Kosten kann über die Mieterhöhung abgewickelt werden - aber nur, wenn die Maßnahme den Mietvertrag verbessert und der Mieter zustimmt.