Fensterrekonstruktion mit Kastenfenstern: Optik erhalten, Dämmung verbessern

Warum Kastenfenster nicht einfach rauswerfen

Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in einem Haus aus den 1920er Jahren. Die Fenster sind alt, die Rahmen knacken leicht, und die Luft zieht. Ein moderner Einfachglas-Fensterbauer würde sagen: tauschen Sie sie aus. Doch wenn Ihr Haus unter Denkmalschutz steht, ist das nicht so einfach. Und glauben Sie mir - es muss auch nicht sein. Kastenfenster, die zweischaligen Doppelfenster mit Innen- und Außenflügel, sind keine veraltete Technik. Sie sind ein Meisterwerk des Handwerks. Und mit moderner Technik können sie heute besser dämmen als viele neue Fenster.

In Wien, Berlin oder Graz stehen noch Tausende dieser Fenster. Sie haben Kriegsjahre, Sanierungen und Umwälzungen überstanden. Ihre Holzrahmen tragen die Spuren von Generationen. Aber sie haben auch eine klare technische Logik: Zwei Glasscheiben mit Luftzwischenraum. Das ist kein Zufall. Das war damals der beste Weg, Kälte und Lärm abzuhalten - ohne Kunststoff oder Isolierglas. Heute wissen wir: Diese Konstruktion kann noch viel mehr.

Was ist ein Kastenfenster wirklich?

Ein Kastenfenster besteht aus zwei Fensterebenen, die in einem gemeinsamen Rahmen verbaut sind. Der äußere Flügel ist meist an der Außenwand befestigt, der innere Flügel sitzt an einem sogenannten Kastenstock, der zwischen den beiden Wänden montiert ist. Es gibt zwei Haupttypen: die Wiener/Berliner Variante, bei der beide Flügel nach innen öffnen, und die Grazer/Hamburger Variante, bei der der innere Flügel nach innen und der äußere nach außen geht. Letztere ist besonders praktisch, weil sie Fensterläden ganzjährig ermöglicht - ohne dass sie abmontiert werden müssen.

Im Historismus (1850-1915) wurden oft zwei völlig getrennte Fenster in einen Wandstock eingebaut. Der Raum dazwischen wurde dann verputzt. Das klingt kompliziert, aber es war damals der Standard. Und es hat einen Grund: Die Luftschicht zwischen den Glasscheiben wirkt wie eine natürliche Isolierschicht. Heute würde man das Wärmeschutzglas nennen. Nur dass damals das Glas einfach nur Einfachverglasung war - und trotzdem besser hielt als viele moderne Einflügel-Fenster in schlecht gedämmten Außenwänden.

Warum moderne Fenster in alten Häusern oft schlimmer sind

Ein häufiger Fehler: Man tauscht das alte Kastenfenster gegen ein modernes Isolierglas-Fenster aus. Klingt logisch, oder? Doch in Wirklichkeit entsteht ein neues Problem: Wärmebrücken. Die neuen Fenster sitzen oft zu tief in der Wand. Zwischen der Innenseite der Laibung und der Außenwand bleibt ein Hohlraum. Da sammelt sich Feuchtigkeit. Und wo Feuchtigkeit ist, wächst Schimmel. Das ist kein Theoriegebäude - das passiert täglich in Altbauten, die „modernisiert“ wurden.

Ein Kastenfenster vermeidet das. Weil es zwei Ebenen hat, liegt die Innenseite des Fensters weiter innen, wo die Wand wärmer ist. Die Luftfeuchtigkeit bleibt unten, nicht an der Fensterlaibung. Die TU Wien hat das gemessen: Bei sanierter Kastenfenster-Konstruktion steigt die Oberflächentemperatur an kritischen Stellen um bis zu 5,8 °C im Vergleich zu modernen Einflügel-Fenstern. Das bedeutet: weniger Kondenswasser, weniger Schimmel, mehr Komfort.

Querschnitt eines restaurierten Doppelfensters mit Luftzwischenraum und isolierendem Glas.

Wie viel Wärme kann ein Kastenfenster wirklich halten?

Ein altes Kastenfenster mit Einfachverglasung hat einen U-Wert von etwa 2,8 bis 3,0 W/m²K. Klingt schlecht? Ja - aber es ist nicht das Ende. Die Sanierung verändert alles.

  • Wenn Sie nur neue Dichtungen einbauen und die Rahmen lackieren: U-Wert sinkt auf 2,0-2,5 W/m²K.
  • Wenn Sie eine Flügelebene mit Spezial-Isolierglas ersetzen: U-Wert fällt auf 1,1 W/m²K.
  • Wenn Sie Vakuumglas einbauen - das ist das Neueste -: U-Wert erreicht 0,6 W/m²K.

Vakuumglas? Ja. Und es ist kein Science-Fiction. Das Glas ist nur 6 bis 10 mm dick - genauso dick wie das alte Einfachglas. Es passt also perfekt in die alten Rahmen, ohne die Optik zu verändern. Die TU Wien und Holzforschung Austria haben das entwickelt. In Praxisprojekten in Graz und Wien wurde nachgewiesen: Das Glas hält die Wärme, ohne den historischen Charakter zu stören. Und es ist schallgedämmt: Bis zu 45 dB, viel besser als viele moderne Fenster mit 30-35 dB.

Die fachgerechte Sanierung: Was muss passieren?

Es geht nicht um „nur ein neues Glas einsetzen“. Eine echte Runderneuerung nach den Empfehlungen der Handwerkskammer Berlin sieht so aus:

  1. Die Fenster werden komplett demontiert.
  2. Die Rahmen werden vollständig entlackt und tischlermäßig überarbeitet - alle Risse gefüllt, alle Schäden behoben.
  3. Neue, hochwertige Lippendichtungen werden eingebaut.
  4. Mindestens eine Flügelebene erhält Spezialglas - meist Vakuumglas oder ein modernes Isolierglas mit Low-E-Beschichtung.
  5. Die Fenster werden neu lackiert - oft zweifarbig: Außen in der ursprünglichen Farbe, innen in einer moderneren, leichteren Farbe, die besser zur Innenraumgestaltung passt.

Diese Arbeit dauert pro Fenster drei bis fünf Arbeitstage. Zwei Tage in der Werkstatt, ein bis drei Tage Montage vor Ort. Es ist kein Schnellschuss - aber es ist eine Investition, die 50 Jahre hält.

Handwerker installiert Vakuumglas in einen alten Holzrahmen in der Werkstatt.

Kosten: Sanieren oder tauschen?

Ein Neubau mit modernem Isolierglas-Fenster kostet in einem denkmalgeschützten Haus rund 2.900 € pro Fenster (120 x 140 cm). Eine fachgerechte Sanierung mit Vakuumglas liegt bei 1.850 €. Das ist fast 40 % günstiger. Und das ist kein Einzelfall. Firma Opperer in Rohrdorf und Schneider-Schönwalde in Berlin dokumentieren das in Hunderten von Projekten.

Die Kosten variieren je nach Zustand: Ein Fenster mit leichter Schäden kostet 1.200 €, ein schwer beschädigtes bis zu 2.500 €. Aber: Die Förderung macht den Unterschied. Seit 2021 gibt es das Bundesförderprogramm für effiziente Gebäude (BEG). Für denkmalgeschützte Gebäude werden bis zu 20 % der Kosten als Zuschuss gewährt. In Berlin wurden 2022 über 1.200 Sanierungen an Kastenfenstern genehmigt - ein Anstieg von fast 19 % gegenüber 2021. Die Nachfrage wächst. Weil die Leute merken: Es lohnt sich.

Was sagen die Denkmalschutzbehörden?

Die Behörden wollen keine Fenster aus dem 19. Jahrhundert. Sie wollen, dass sie funktionieren. Und sie wollen, dass sie erhalten bleiben. Die Handwerkskammer Berlin und das Landesdenkmalamt in Wien betonen: Eine fachgerechte Sanierung ist nicht nur erlaubt - sie ist erwünscht. Wichtig ist nur: Vorher abstimmen. Ein Antrag mit technischen Unterlagen, Fotos und einer Beschreibung der geplanten Maßnahmen ist Pflicht. Die Behörden prüfen, ob die Glasart optisch akzeptabel ist - und ob die Dämmleistung nachweisbar ist.

Kein Fenster wird abgelehnt, wenn es denkmalpflegerisch sinnvoll ist. Aber ein Fenster, das einfach mit Kunststoffrahmen und Plastikverglasung „modernisiert“ wird, wird abgelehnt. Denn das zerstört den historischen Charakter. Eine Sanierung mit Holzrahmen und Vakuumglas? Das ist die Lösung, die alle wollen: Denkmalpfleger, Energieberater, Bewohner.

Was kommt als Nächstes?

Die Handwerkskammer Berlin arbeitet bereits an einer neuen Empfehlungsbroschüre für 2024. Sie wird die neuesten Erkenntnisse zu Vakuumglas und Dichtungstechnik zusammenfassen. In Österreich und der Schweiz folgt man diesem Beispiel. Die Forschung ist klar: Die Kombination aus historischer Konstruktion und moderner Glas-Technik ist der zukünftige Standard für denkmalgeschützte Gebäude.

Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu bewahren - sondern sie lebendig zu halten. Ein Kastenfenster, das warm, trocken und leise ist, ist kein Widerspruch. Es ist die logische Weiterentwicklung. Und es ist der beste Weg, um Altbauten nicht zu verlieren, sondern zu retten - für die nächste Generation.

Oktober 19, 2025 / Bauen und Renovieren /