Ein Mehrfamilienhaus zu sanieren klingt nach einem technischen Problem: Dämmen, Fenster austauschen, die Heizung wechseln. Doch wer schon einmal eine Sanierung in einem Gebäude mit mehreren Wohnungen begleitet hat, weiß: Der größte Baustein ist nicht die Isolierung, sondern die Koordination. Und dahinter steht nicht nur ein Projektmanager, sondern ein ganzer Haufen Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Ängsten und Erwartungen.
Warum Sanierungen in Mehrfamilienhäusern so schwierig sind
Ein Einfamilienhaus kann der Eigentümer in Ruhe planen, die Handwerker einladen, den Müll wegräumen - ohne jemanden zu fragen. Bei einem Mehrfamilienhaus mit 8, 12 oder sogar 20 Wohnungen ist das nicht möglich. Hier entscheiden nicht nur die Eigentümer, sondern auch Mieter, die Verwaltung, die Hausmeister und mehrere Handwerksbetriebe mit. Jeder hat ein Recht auf Information, auf Mitbestimmung, auf Ruhe - und oft genug auch auf ein bisschen Verständnis. Laut einer Umfrage des Deutschen Mieterbundes aus Februar 2025 sinkt die Zufriedenheit mit Sanierungsprojekten von 78 % auf nur 34 %, wenn die Kommunikation schlecht läuft. Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis von zu wenig Informationen, unklaren Terminen und plötzlich auftauchenden Lärmphasen. Wer denkt, er könne einfach die Fenster tauschen und die Mieter später informieren, liegt falsch. Die Mieter fühlen sich dann wie Opfer - nicht als Teil einer Lösung.Die drei Wege der Sanierung: Strangsanierung als klügste Wahl
Es gibt nicht nur einen Weg, ein Mehrfamilienhaus zu sanieren. Aber es gibt einen, der am meisten Erfolg hat: die Strangsanierung. Bei der reinen Strangsanierung geht es nur um die Versorgungsleitungen - Heizung, Wasser, Elektrik - in den senkrechten Schächten des Gebäudes. Das ist der Minimalansatz. Die Wohnung bleibt unberührt. Bei der vollständigen Strangsanierung wird dagegen alles in einem Zug erneuert: Fenster, Türen, Wände, Lüftung, Elektroinstallation. Und das ist der Schlüssel. Warum? Weil die Arbeiten in definierten Abschnitten - den sogenannten Strängen - erfolgen. Jedes Treppenhaus wird einzeln bearbeitet. Das bedeutet: Ein Mieter ist maximal 10 bis 14 Tage lang von den Arbeiten betroffen. Dann ist sein Bereich fertig, und der nächste wird angegangen. Die Gesamtzeit der Sanierung sinkt dadurch um bis zu 40 %, im Vergleich zu einer schrittweisen Sanierung über mehrere Jahre. Und das ist entscheidend: Weniger Zeit = weniger Stress = weniger Beschwerden. Laut der Eco-Plan-Studie aus Juni 2025 führt eine schrittweise Sanierung über mehrere Jahre zu 25-30 % höheren Gesamtkosten. Warum? Weil jedes Mal neue Anfahrten, neue Absicherungen, neue Baustellenorganisationen anfallen. Die Strangsanierung ist also nicht nur menschlicher - sie ist auch wirtschaftlicher.Die 5 Säulen einer erfolgreichen Koordination
Eine gute Sanierung wird nicht durch den besten Dämmstoff, sondern durch die beste Organisation gemacht. Hier sind die fünf Säulen, auf denen alles steht:- Ein klarer Sanierungsfahrplan (iSFP): Bevor ein Hammer geschwungen wird, muss ein detaillierter Plan stehen. Der individuelle Sanierungsfahrplan (iSFP) listet alle geplanten Maßnahmen auf - von der Dämmung bis zur neuen Heizung - mit Kosten, Fördermöglichkeiten und Zeitrahmen. Die BAFA fordert ihn seit Januar 2025 als Voraussetzung für Fördermittel. Ohne ihn läuft nichts.
- Ein professioneller Projektmanager: Sie brauchen jemanden, der die Handwerker koordiniert, die Termine hält und die Mieter beruhigt. Laut VDIV-Standards sollte dieser Manager mindestens fünf Jahre Erfahrung mit Mehrfamilienhäusern haben. Ein Generalunternehmer, der nur die Arbeiten ausführt, reicht nicht. Es braucht jemanden, der die ganze Baustelle im Kopf hat.
- Sechs Informationsveranstaltungen: Die DGNB empfiehlt mindestens sechs Termine, an denen alle Mieter informiert werden: vor dem Start, vor jedem Strang, während der Arbeiten, nach Abschluss. Keine E-Mail-Reihe. Kein Aushang. Sondern persönliche Treffen. Das ist der einzige Weg, um Misstrauen zu vermeiden.
- Eine zentrale Ansprechperson: Wer hat Fragen? Wer meldet Lärm? Wer klagt über Staub? Eine einzige Person - oft die Hausverwaltung - muss als Ansprechpartnerin fungieren. Laut Eco-Plan-Studie wird diese Maßnahme von 92 % der Mieter als positiv bewertet. Wenn jeder Handwerker seine eigene Hotline hat, wird es chaotisch.
- Digitale Tools nutzen: Bimplus, PlanRadar oder ähnliche Plattformen ermöglichen es, Fotos von Fortschritten hochzuladen, Termine zu teilen, Beschwerden zu dokumentieren. Mieter können sich online informieren, ohne jedes Mal anzurufen. Das spart Zeit, reduziert Stress und macht den Prozess transparent.
Nachbarschaftsfragen: Mehr als nur Lärm und Staub
Viele Eigentümer denken, Nachbarschaftsfragen seien nur ein Ärgernis. Aber sie sind der Schlüssel zum Erfolg. Prof. Dr. Anke Becker von der TU Berlin hat in ihrer Studie aus Oktober 2024 gezeigt: Sanierungen ohne gezielte Mieterbeteiligung haben eine Konfliktquote von 68 %. Mit strukturierten Gesprächen, individuellen Beratungen und klaren Regeln sinkt diese Zahl auf unter 22 %. Das ist kein kleiner Unterschied. Das ist der Unterschied zwischen einem Projekt, das funktioniert, und einem, das in Gerichtsverfahren endet. Was bedeutet das konkret?- Ein Mieter mit chronischer Krankheit braucht Ruhezeiten - das muss im Plan berücksichtigt werden.
- Eine ältere Dame hat Angst vor Staub. Dann wird die Wohnung vorher abgedichtet, und sie bekommt einen Staubsauger zur Verfügung gestellt.
- Ein Mieter, der sich nicht ausdrücken kann, braucht eine persönliche Ansprache - nicht nur einen Brief.
Die Zahlen sprechen: Warum es sich lohnt
Die Kosten für eine Vollsanierung liegen zwischen 1.200 und 3.500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, wie die KfW in ihrem Förderprogramm 153 (Stand Januar 2025) angibt. Klingt viel? Ist es auch. Aber die Rendite ist größer, als viele denken. Durch eine energetische Sanierung können Energiekosten um 5 bis 30 % gesenkt werden, wie die dena-Studie von 2018 zeigt. Das bedeutet: Ein Mieter, der vorher 120 Euro Heizkosten im Monat hatte, zahlt nach der Sanierung nur noch 84 bis 114 Euro. Das ist spürbar. Und das erhöht die Akzeptanz. Außerdem: Die Förderung ist da. Die KfW zahlt bis zu 40 % der Kosten, die BAFA bis zu 30 %, wenn der iSFP korrekt eingereicht wird. Und seit Januar 2025 läuft der digitale Sanierungsfahrplan - die Bearbeitungszeit für Förderanträge ist um 35 % schneller geworden. Und dann ist da noch der Wert des Gebäudes. Ein saniertes Mehrfamilienhaus ist nicht nur energieeffizient - es ist auch attraktiver für Mieter, für Investoren, für die Zukunft. Ab 2030 müssen alle Gebäude in Deutschland bestimmte Mindeststandards erfüllen, laut der novellierten EPBD-Richtlinie. Wer jetzt nicht sanieren lässt, wird später gezwungen - und teurer.
Was schiefgeht - und wie man es vermeidet
Nicht jede Sanierung läuft gut. Die Erfahrungsberichte im Internet sind zweigeteilt. Ein Nutzer auf Immobilieninvestor.de berichtet: „In 8 Wochen pro Treppenhaus, nur 2 Beschwerden bei 18 Wohnungen.“ Ein anderer auf Reddit schreibt: „14 Monate statt 8, 40 Beschwerden, 3 Gerichtsverfahren.“ Was ist der Unterschied? Die Koordination. Die häufigsten Fehler:- Kein Projektmanager - der Hausverwalter macht das nebenbei. Ergebnis: 27 % Zeitüberschreitung, laut Eco-Plan.
- Keine Mieterinformationen - die Mieter erfahren von der Sanierung, als die Bohrer schon laufen. Ergebnis: Wut, Beschwerden, Klagen.
- Kein digitaler Plan - alles per E-Mail und Zettel. Ergebnis: Termine werden verpasst, Materialien fehlen.
- Keine Rücksicht auf Einzelfälle - jemand braucht Ruhe, aber die Arbeiten laufen am Wochenende. Ergebnis: Vertrauensverlust.
Kommentare (2)
Rick Bauer
November 21, 2025 AT 09:38Wieder so ein Text, der glaubt, Menschen seien ein Problem, das man mit mehr Meetings und digitalen Tools lösen kann. Die Leute wollen doch nur, dass die Arbeiten endlich vorbei sind, nicht dass sie jeden Mittwoch um 18 Uhr zu einer ‘Informationsveranstaltung’ eingeladen werden. Ich hab schon drei Sanierungen erlebt – jedes Mal war der Projektmanager derjenige, der am Ende am meisten Stress hatte. Und die Mieter? Die haben sich einfach an die Lärmzeiten angepasst. Kein Drama. Keine sechs Treffen. Einfach machen.
Und jetzt soll man ab 2026 verpflichtet sein, ‘zu dialogisieren’? Super. Dann kriegen wir noch ein Formular, das man vor dem Bohren unterschreiben muss: ‘Ich akzeptiere, dass mein Fenster ersetzt wird und ich nicht weine.’
Patrick Sargent
November 22, 2025 AT 00:20lol wieso muss ich mich mit so einem kram beschäftigen? ich zahle meine miete, nicht für ein seminar. die handwerker kommen, bohren, stäuben, gehen. fertig. warum muss ich jeden zweiten tag ne email kriegen mit ‘progress update’? ich will kein planradar. ich will ruhe. und wenn ich störung hab, sag ichs. nicht dass mir jemand nen ‘zentralen ansprechpartner’ aufdrängt. das ist total übertrieben.
und jetzt kommt noch ‘sanierungsdialog’? ich glaub die regierung hat zu viel zeit.