Liquiditätsreserve im Sanierungsprojekt: Wie hoch sie sein muss und wie man sie plant

Ein Sanierungsprojekt scheitert nicht selten, weil das Unternehmen einfach kein Geld mehr hat - nicht weil die Idee schlecht war, nicht weil die Mitarbeiter unfähig sind, sondern weil die Liquiditätsreserve zu klein war. In Deutschland stirbt fast jedes zweite Sanierungsprojekt an einem Mangel an barer Zahlungskraft. Die Deutsche Bundesbank hat 2022 festgestellt: 68 % aller Insolvenzen waren direkt auf zu geringe Liquiditätsreserven zurückzuführen. Das ist kein Zufall. Es ist eine Systemfrage.

Was ist eine Liquiditätsreserve im Sanierungsprojekt?

Die Liquiditätsreserve ist der Notgroschen, den du extra auf die Seite legst - nicht für Urlaub, nicht für neue Maschinen, sondern nur für das, was unvorhergesehen kommt. In einem Sanierungsprojekt bedeutet das: Was, wenn ein Hauptkunde nicht zahlt? Was, wenn die Bank die Kreditlinie kürzt? Was, wenn eine Rechnung plötzlich fällig wird, die du nicht einkalkuliert hast?

Diese Reserve besteht aus Geld, das du sofort nutzen kannst: Bankguthaben, Tagesgeld, kurzfristige Anlagen, die du innerhalb von 48 Stunden abrufst. Wertpapiere zählen nur, wenn du sie innerhalb von 7 Tagen in Bargeld verwandeln kannst. Es ist kein Kredit. Es ist kein Darlehen. Es ist kein Forderungsverkauf. Es ist Bargeld - und zwar Geld, das du nicht für andere Dinge ausgeben darfst.

Die FCH-Gruppe sagt es klar: Ohne diese Reserve kannst du keine Sanierungsmaßnahmen umsetzen. Keine Personalreduzierung, keine Prozessoptimierung, keine Neuverhandlung mit Lieferanten - alles hängt davon ab, ob du morgen noch zahlen kannst.

Wie hoch sollte die Liquiditätsreserve sein?

Die Faustregel von 3 bis 6 Monaten fixer Kosten ist ein guter Ausgangspunkt - aber in der Praxis reicht das oft nicht. Wer in einer Sanierung steckt, lebt in Unsicherheit. Kunden zahlen verspätet. Lieferanten fordern Vorauszahlung. Banken verlangen Sicherheiten. Die IDW S6-Richtlinie, die als Maßstab für professionelle Sanierungen gilt, empfiehlt mindestens 150 % der monatlichen Fixkosten. Das bedeutet: Wenn du monatlich 100.000 Euro an Miete, Löhnen, Versicherungen und Nebenkosten ausgibst, brauchst du mindestens 150.000 Euro Reserve - und das nicht für drei, sondern für sechs bis neun Monate.

Dr. Michael Schmidt von PricewaterhouseCoopers hat Daten aus über 200 Sanierungsprojekten ausgewertet: Unternehmen mit einer Reserve von mindestens 6 Monaten hatten eine Erfolgsquote von 78 %. Unternehmen ohne ausreichende Reserve scheiterten in 85 % der Fälle. Das ist kein Zufall. Das ist Mathematik.

Und hier kommt der entscheidende Punkt: Die Reserve muss realistisch berechnet werden. Viele Unternehmen rechnen mit ihren alten Zahlen - aber in einer Sanierung ändert sich alles. Die Umsätze sinken. Die Forderungen werden länger fällig. Die Kosten steigen durch zusätzliche Beratung, Rechtsberatung, Sanierungsmanagement. Die FCH-Gruppe beobachtet: 65 % der Sanierungspläne überschätzen die Einzahlungen aus offenen Forderungen um durchschnittlich 35 %. Das ist ein gefährlicher Irrtum.

Warum nicht einfach einen Kredit aufnehmen?

Es klingt logisch: Wir brauchen mehr Geld - dann nehmen wir einen Kredit. Aber in einer Sanierung ist das riskant. Laut insoprevent.de kann eine Kreditaufnahme zur Liquiditätsaufstockung als Gläubigerbenachteiligung gewertet werden - und das führt zu persönlicher Haftung für den Geschäftsführer. Banken prüfen in Sanierungsverfahren genau, ob du dich mit neuen Krediten nur verzögerst - statt zu sanieren.

Factoring? Schnell, aber teuer. 1 bis 3 % pro Forderung - das frisst deine Margen auf. Sale & Lease Back? Kann helfen, aber braucht 4 bis 8 Wochen, um umgesetzt zu werden. In einer Krise hast du aber oft nur Tage. Die Liquiditätsreserve ist der einzige Puffer, der sofort greift - ohne Genehmigung, ohne Verträge, ohne Wartezeit.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern hatte eine Reserve von 3 Monaten. Dann wurde ein Hauptkunde insolvent - und die Bank kürzte die Kreditlinie. Innerhalb von 14 Tagen war die Reserve aufgebraucht. Erst ein teurer Sale & Lease Back-Deal brachte 250.000 Euro - zu spät, um den Sanierungsplan zu retten. Die Reserve war nicht falsch geplant - sie war einfach zu klein.

Ein zerbrechliches Glasgefäß mit 3-Monats-Reserve gegen einen stabilen Metallkasten mit 9-Monats-Reserve.

Wie planst du die Liquiditätsreserve richtig?

Es gibt drei Zeithorizonte, die du beachten musst - und alle müssen wöchentlich aktualisiert werden. Das verlangt die IDW S6-Richtlinie explizit.

  • Kurzfristig (1-4 Wochen): Was kommt in den nächsten 28 Tagen an Zahlungen und Einnahmen? Welche Rechnungen sind fällig? Welche Kunden zahlen wann?
  • Mittelfristig (1-3 Monate): Wie sieht die Entwicklung der Umsätze aus? Wann kommen neue Verträge? Wann werden Lieferantenbedingungen geändert?
  • Langfristig (3-12 Monate): Wie entwickelt sich die Liquidität, wenn die Sanierungsmaßnahmen greifen? Wann erwartest du erste positive Cashflows?

Die meisten Sanierungspläne scheitern, weil sie auf Buchhaltungsdaten basieren - und die sind oft 2 bis 4 Wochen veraltet. Wenn du deine Liquiditätsplanung auf Monatsabschlüsse stützt, bist du schon hinterher. Du brauchst eine aktive, tägliche oder wöchentliche Liquiditätsübersicht - mit Echtzeit-Daten, nicht mit Nachberechnungen.

Ein weiterer Fehler: Die operative Abteilung wird nicht eingebunden. Der Vertrieb weiß, wann Kunden zahlen - der Einkauf weiß, wann Lieferanten drängen. Ohne diese Informationen ist deine Reserve nur ein theoretischer Wert. Ein BDO-Bericht aus 2022 zeigt: 45 % der Sanierungsprojekte scheitern, weil die Finanzabteilung nicht mit den operativen Teams abgestimmt hat.

Was passiert, wenn du die Reserve unterschätzt?

Du verlierst die Kontrolle. Du wirst abhängig von schnellen, teuren Lösungen. Du verlierst das Vertrauen der Gläubiger. Und das ist das Schlimmste: Du verlierst die Handlungsfähigkeit.

Ein anonym bleibender Geschäftsführer berichtete auf Reddit, dass Banken zwar 4 Monate Reserve verlangen - aber in der Praxis nur 70 % davon akzeptieren, weil sie von einer schrittweisen Besserung ausgehen. Das ist eine Falle. Wenn du nur 2,8 Monate Reserve hast, aber ein unerwarteter Ausfall kommt - dann hast du keine Luft mehr. Du bist am Ende.

Und die regulatorische Lage wird strenger. Das Insolvenzordnungsgesetz verpflichtet seit 2021 Geschäftsführer, bei drohender Zahlungsunfähigkeit innerhalb von drei Wochen einen Sanierungsplan vorzulegen - mit detaillierter Liquiditätsplanung. Wer das nicht kann, handelt rechtswidrig.

Ein digitales Liquiditäts-Dashboard mit Echtzeit-Daten und einem Team, das die Prognose bespricht.

Was ändert sich 2025?

Die Anforderungen steigen. Die Deutsche Bundesbank hat im März 2023 einen Leitfaden für Banken veröffentlicht, der die Mindestanforderungen an Liquiditätsreserven konkretisiert. Die IDW arbeitet an einer Überarbeitung der S6-Richtlinie - und diese wird noch strengere Regeln bringen. Experten wie Prof. Dr. Klaus-Dieter Thomsen von der Universität Münster prognostizieren: Bis 2025 wird die Mindesthöhe der Liquiditätsreserve von 3-6 auf 6-9 Monate steigen.

Warum? Weil die Wirtschaft unsicherer wird. Die Bundesbank erwartet bis 2025 einen weiteren Anstieg der Unternehmen mit Liquiditätsproblemen um 25 % - besonders im Mittelstand. Gleichzeitig wächst der Markt für Sanierungsberatung: Von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Und 63 % der Beratungsunternehmen bieten heute spezielle Liquiditätsmanagement-Tools an - meist mit KI-gestützten Prognosen. 78 % der großen Sanierungsberatungen nutzen diese Tools bereits.

Die Zukunft gehört nicht dem, der am meisten spart - sondern dem, der am besten plant.

Was kannst du jetzt tun?

Wenn du gerade ein Sanierungsprojekt startest oder planst, dann mach das als Erstes: Berechne deine fixen monatlichen Kosten - wirklich alle. Miete, Löhne, Versicherungen, Steuern, Zinsen, Wartung, Beratung. Multipliziere das mit 9. Das ist dein Minimum.

Stell dir vor: Was passiert, wenn du in den nächsten 3 Monaten keinen einzigen Euro Umsatz machst? Kannst du dann noch zahlen? Wenn nicht, hast du noch keine Reserve - nur eine Hoffnung.

Erstelle eine wöchentliche Liquiditätsübersicht. Nicht monatlich. Wöchentlich. Teile sie mit deinem Berater, mit deinen Gläubigern - und halte sie aktuell. Lass dich nicht von alten Zahlen täuschen. Und lass die operative Abteilung mitreden. Sie kennt die Realität - deine Buchhaltung nur die Vergangenheit.

Die Liquiditätsreserve ist nicht die teuerste Maßnahme. Sie ist die billigste. Denn sie verhindert, dass du später für 100.000 Euro einen Kredit aufnimmst - nur um zu überleben, während du mit 10.000 Euro Reserve hättest überleben können.

Dezember 27, 2025 / Finanzen & Investieren /