Stellen Sie sich vor, Sie zahlen im nächsten Winter nur noch 20 % Ihrer bisherigen Stromrechnung. Der Rest kommt von Ihrem Dach. Das ist kein Traum - das ist der Autarkiegrad einer modernen Photovoltaik-Anlage mit Speicher. Doch wie hoch kann er wirklich sein? Und warum erreichen viele Hausbesitzer nur halb so viel, wie die Hersteller versprechen?
Der Autarkiegrad sagt einfach aus: Wie viel von Ihrem gesamten Stromverbrauch decken Sie selbst mit Ihrer Solaranlage? Nicht wie viel Solarstrom Sie erzeugen - sondern wie viel davon auch wirklich in Ihrer Steckdose landet. Das ist der entscheidende Unterschied zur Eigenverbrauchsquote. Die sagt nur, wie viel von Ihrem eigenen Solarstrom Sie nutzen. Der Autarkiegrad sagt, wie unabhängig Sie vom Netz sind. Und das ist das, was wirklich zählt.
Was ist der Unterschied zwischen Eigenverbrauch und Autarkiegrad?
Viele verwechseln die beiden Begriffe. Das kostet Geld. Nehmen wir ein Beispiel: Sie haben eine 8 kWp PV-Anlage und erzeugen 8.000 kWh Strom im Jahr. Sie verbrauchen davon 3.000 kWh direkt - das ist Ihre Eigenverbrauchsquote von 37,5 %. Aber Ihr Haushalt verbraucht insgesamt 5.000 kWh pro Jahr. Dann ist Ihr Autarkiegrad nur 60 %. Die restlichen 2.000 kWh holen Sie sich aus dem Netz. Sie nutzen viel von Ihrem eigenen Strom - aber Sie sind nicht unabhängig.
Ohne Speicher ist der Autarkiegrad meist zwischen 25 % und 40 %. Der Grund? Die Sonne scheint am Mittag, aber Sie duschen morgens, der Fernseher läuft abends. Der Solarstrom fließt ungenutzt ins Netz. Mit einem Speicher kann sich dieser Wert verdoppeln - auf bis zu 70-80 %. Das ist der Sprung von halbwegs selbstversorgend zu fast vollständiger Unabhängigkeit.
Wie berechnen Sie Ihren Autarkiegrad - Schritt für Schritt
Die Formel ist einfach: Autarkiegrad (%) = (Eigenverbrauch in kWh / Gesamtstromverbrauch in kWh) × 100. Aber die Daten dafür müssen stimmen.
Schritt 1: Ermitteln Sie Ihren Jahresstromverbrauch. Die Durchschnittswerte helfen nicht. Schauen Sie auf Ihre letzten drei Rechnungen. Ein Einfamilienhaus in Deutschland verbraucht im Durchschnitt 4.000 kWh pro Jahr. Aber wenn Sie eine Wärmepumpe haben, sind es leicht 6.000-7.000 kWh. Eine Wallbox für das Elektroauto addiert nochmal 1.500-2.500 kWh dazu. Ohne genaue Zahlen rechnen Sie falsch.
Schritt 2: Bestimmen Sie Ihren Eigenverbrauch. Das ist der Teil des Solarstroms, den Sie tatsächlich nutzen - nicht der, den Sie erzeugen. Moderne Wechselrichter wie von SMA oder Solarwatt zeigen das in der App an. Wenn Sie keinen Speicher haben, liegt der Eigenverbrauch meist bei 30-40 % der Erzeugung. Mit Speicher steigt er auf 60-80 %. Sie müssen also nicht nur die Anlage berechnen - sondern auch, wie Sie Ihren Verbrauch verschieben.
Schritt 3: Rechnen Sie. Beispiel: Sie verbrauchen 5.000 kWh pro Jahr. Ihre PV-Anlage mit Speicher liefert 3.600 kWh Eigenverbrauch. Dann ist Ihr Autarkiegrad: (3.600 / 5.000) × 100 = 72 %. Das ist ein sehr guter Wert. Ohne Speicher und nur 1.500 kWh Eigenverbrauch wären es nur 30 %.
Wie groß muss der Speicher sein?
Ein zu kleiner Speicher bringt wenig. Ein zu großer verschlingt Geld, ohne Vorteile. Die Faustregel: 1 kWh Speicherkapazität pro 1 kWp PV-Leistung. Das ist der Goldstandard für Einfamilienhäuser.
Bei einer 8 kWp Anlage brauchen Sie also 8-10 kWh Speicher. Warum nicht mehr? Weil die Sonne im Sommer viel mehr liefert als Sie brauchen. Ein 15 kWh-Speicher füllt sich jeden Tag komplett - und bleibt dann den ganzen Winter über leer. Die Batterie altert unnötig schnell. Eine Langzeitstudie des Fraunhofer ISE mit 500 Systemen zeigte: Systeme mit 10-12 kWh Speicher erreichten im Schnitt 72 % Autarkiegrad. Mit 15 kWh war der Unterschied nur 2-3 Prozentpunkte - bei 4.000 Euro mehr Kosten.
Die optimale Größe lässt sich auch mit dem Verbrauchsverhalten berechnen: (Jahresverbrauch ÷ 365) × Faktor. Der Faktor ist 0,5 bei morgendlichem und abendlichem Verbrauch (typisch für Familien), 0,33 bei tagsüberem Verbrauch (z. B. Homeoffice). Bei 4.500 kWh Verbrauch und Familienleben: (4.500 ÷ 365) × 0,5 = 6,16 kWh. Runden Sie auf 7-8 kWh auf. Mehr ist selten sinnvoll.
Warum erreichen Sie nie 100 % Autarkie?
Einige Hersteller werben mit 90 % Autarkie. Das ist Marketing. Realistisch ist 80-85 % - und das nur unter perfekten Bedingungen.
Der Hauptgrund: Die Saison. Im Juni scheint die Sonne 16 Stunden am Tag. Sie erzeugen 30 kWh. Im Dezember scheint sie 6 Stunden - und nur 3 kWh. Selbst mit 15 kWh Speicher können Sie den Winter nicht komplett überbrücken. Die Batterien sind leer, bevor der nächste Sonnentag kommt. Selbst mit Power-to-Gas-Technik - also Umwandlung von Strom in Gas - ist Vollautarkie für ein Einfamilienhaus wirtschaftlich unmöglich, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bestätigt.
Und dann ist da noch der Verbrauch: Wenn Sie Ihre Waschmaschine um 22 Uhr laufen lassen, hilft kein Speicher. Die Sonne ist weg. Das ist der größte Fehler vieler Hausbesitzer: Sie denken, die Technik macht alles. Aber ohne Verhaltensänderung bleibt der Autarkiegrad niedrig.
Wie Sie Ihren Autarkiegrad um 10-15 % steigern - ohne neue Anlage
Sie haben eine Anlage? Dann können Sie Ihren Autarkiegrad noch verbessern - ohne teure Nachrüstung.
- Verbrauch verschieben: Waschmaschine, Geschirrspüler und Trockner auf Mittagszeit (11-15 Uhr) legen. Das bringt bis zu 15 % mehr Eigenverbrauch. Ein smartes Steckdosen-System wie von Sonnen oder Solarwatt macht das automatisch.
- Heizung optimieren: Wenn Sie eine Wärmepumpe haben, stellen Sie sie auf „Solar-Modus“. Viele Modelle lassen sich mit dem PV-Ertrag verknüpfen. Dann heizen Sie mit Sonne - nicht mit Netzstrom.
- Module reinigen: Verschmutzte Solarpanels verlieren bis zu 15 % Ertrag. Einmal im Jahr mit weichem Wasser reinigen - und schon kommen 300-500 kWh mehr Eigenverbrauch dazu.
- Verbrauch messen: Installieren Sie einen Stromzähler für den Gesamtverbrauch. Ohne Messung wissen Sie nicht, ob Ihre Maßnahmen wirken.
Professor Volker Quaschning von der HTW Berlin sagt: „Wer sein Verbrauchsverhalten anpasst, erreicht mit einer 8 kWp-Anlage und 10 kWh Speicher leicht 75-80 %. Wer nicht umdenkt, bleibt bei 60 % - egal wie teuer die Anlage ist.“
Was kostet ein System mit hohem Autarkiegrad?
Ein typisches System für ein Einfamilienhaus: 8 kWp PV + 10 kWh Speicher. Kosten: ca. 28.500 Euro brutto (Stand 2025). Die Amortisationszeit liegt bei 10-12 Jahren - je nach Strompreis.
Rechnen Sie: Sie sparen 3.600 kWh Eigenverbrauch. Bei 34 Cent pro kWh (durchschnittlicher Netztarif 2025) sind das 1.224 Euro pro Jahr. Zuzüglich der Einspeisevergütung von 8,2 Cent für den Überschuss (ca. 1.200 kWh) kommen noch 98 Euro hinzu. Total: 1.322 Euro Einsparung pro Jahr. Bei 28.500 Euro Kosten: 21,5 Jahre Amortisation? Nein - denn die Einsparung steigt mit dem Strompreis. Und die Kosten für Speicher sinken: Seit 2021 sind sie um 35 % gefallen. Bis 2030 prognostiziert das Fraunhofer ISE weitere 30 % Preisreduktion.
Die Wahrheit: Ein System mit hohem Autarkiegrad lohnt sich nicht nur ökologisch - sondern auch finanziell. Aber nur, wenn Sie nicht überdimensionieren und Ihr Verhalten anpassen.
Was tun, wenn Ihr Autarkiegrad zu niedrig ist?
Sie haben eine Anlage, aber Ihr Autarkiegrad liegt bei 40 %? Dann liegt das nicht an der Technik - sondern an der Nutzung.
Prüfen Sie:
- Verbrauchen Sie stromintensive Geräte in der Mittagszeit?
- Haben Sie eine Wärmepumpe, die mit Solarstrom läuft?
- Wurden Ihre Module im letzten Jahr gereinigt?
- Verwenden Sie eine App, die Ihren Verbrauch und Ertrag in Echtzeit zeigt?
Wenn Sie bei zwei oder mehr Fragen mit „Nein“ antworten, ist die Lösung nicht ein neuer Speicher - sondern eine Verhaltensänderung. Die meisten Hausbesitzer unterschätzen, wie stark ihr Verhalten den Autarkiegrad beeinflusst. Ein kleiner Tipp: Legen Sie Ihre Waschmaschine auf „Smart“-Modus. Die meisten Geräte lassen sich mit dem PV-Ertrag verknüpfen. Dann läuft sie nur, wenn die Sonne scheint. Das ist die einfachste und billigste Art, Ihren Autarkiegrad zu steigern.
Frequently Asked Questions
Wie hoch ist der durchschnittliche Autarkiegrad bei Einfamilienhäusern mit PV und Speicher?
Der durchschnittliche Autarkiegrad liegt bei 65-75 %. Systeme mit optimaler Auslegung und angepasstem Verbrauchsverhalten erreichen bis zu 80-82 %. Nur bei sehr geringem Verbrauch (unter 3.000 kWh/Jahr) und perfekter Ausrichtung kommen selten 85 % zustande. Höhere Werte sind in der Praxis nicht realistisch.
Kann ich mit PV und Speicher komplett vom Netz unabhängig werden?
Nein, nicht praktisch und nicht wirtschaftlich. Selbst mit größten Speichern und Power-to-Gas-Systemen ist eine Vollautarkie aufgrund der saisonalen Schwankungen der Sonneneinstrahlung nicht realisierbar. Im Winter reichen selbst 20 kWh Speicher nicht aus, um den Verbrauch über mehrere Wochen zu decken. Die Technik ist noch nicht so weit. Die realistische Zielsetzung ist 70-80 % Autarkiegrad.
Ist ein größerer Speicher immer besser?
Nein. Ein Speicher größer als 1 kWh pro kWp PV-Leistung bringt kaum mehr Autarkie, aber deutlich höhere Kosten. Eine 15 kWh-Batterie bei 8 kWp Anlage erhöht den Autarkiegrad nur um 2-3 Prozentpunkte gegenüber 10 kWh - bei 4.000-5.000 Euro mehr Kosten. Die Batterie altert schneller, weil sie jeden Tag voll geladen wird - ohne dass sie auch nur halbwegs entladen wird. Das schadet der Lebensdauer.
Welche Rolle spielt die Dachausrichtung?
Südausrichtung ist optimal - sie liefert bis zu 20 % mehr Ertrag als Ost-West. Eine Ost-West-Anlage ist aber oft sinnvoller, weil sie morgens und abends Strom liefert - also genau dann, wenn man ihn braucht. Bei einem Verbrauchsschwerpunkt am Morgen und Abend kann eine Ost-West-Anlage mit Speicher sogar einen höheren Autarkiegrad liefern als eine Südanlage ohne Speicher.
Wie viel kostet es, den Autarkiegrad zu messen?
Sie brauchen keinen teuren Messdienst. Moderne Wechselrichter (SMA, Solarwatt, Fronius) zeigen Ihren Eigenverbrauch und Gesamtverbrauch in der App an. Zusätzlich können Sie für unter 100 Euro einen einfachen Stromzähler an den Hauptzuleitung installieren. Das reicht, um Ihre Zahlen zu verifizieren. Wer nicht misst, kann nicht optimieren.
Was kommt als Nächstes?
Die Zukunft gehört intelligenten Systemen. Bald werden Ihre PV-Anlage, Ihr Speicher, Ihre Wärmepumpe und Ihr E-Auto miteinander sprechen - und selbst entscheiden, wann was läuft. Mit prädiktiven Algorithmen, die Wetter und Verbrauch voraussagen, steigt der Autarkiegrad nochmal um 5-8 %. Festkörperbatterien ab 2027 könnten die Speicherdichte verdoppeln - das heißt, Sie brauchen weniger Platz und weniger Geld für mehr Autarkie.
Aber die größte Innovation ist nicht technisch - sie ist menschlich. Wer versteht, dass Autarkie nicht nur von der Anlage abhängt, sondern von seiner eigenen Routine, der gewinnt. Der Rest ist nur Technik - die immer besser wird. Aber ohne Verhalten bleibt der Autarkiegrad klein.